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Prof. Siegfried K. Lang

 

Das Diktum von Paul Klee „Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ stellt sich - fast- automatisch ein, wenn Künstler und Kritiker sich über Kunst äußern, die sich dem Abbildhaften verweigert. Löst man den Satz aus seinem rhetorischen Ritual und liest ihn in dem Sinne, wie Klee ihn gemeint hat, so bezeichnet er etwas Unverzichtbares im Entstehen seiner Bilder und Zeichnungen. Seine Kunst zeigt das zur Erscheinung Kommende des Unsichtbaren, vergleichbar einem wachsenden Baum, dessen sichtbare Krone ohne das unsichtbare Wurzelwerk nicht hätte entstehen können. Dass die Kunst nicht das einzige Medium ist, die das Wunderwerk der Verwandlung bewirkt, war Klee sehr wohl bewusst, handhabte er doch wissenschaftliche Instrumente wie Teleskop, Mikroskop und - später - die elektronischen Übertragungstechniken virtuos, um unsicht- und unhörbaren Prozessen, die um uns und in uns sind, ins bildnerische Leben zu verhelfen. Seine Kunst zielte und zielt auf das Erforschen und Sichtbarmachen von Natur- und Lebensprozessen in unterschiedlichen Aggregats- und Formzuständen.

 

Bianka Timpe verweißt in ihren Werken auf Prozesse, orientierten Verständnis von Welt und Natur. Sie untersucht mit den Mitteln der Malerei Prozesse orientierten Verständnis von Vergehen und Werdens unsichtbare Vorgänge hinter und unter der Oberfläche, der Fassade sichtbar werden, das scheinbar fest Gefügte (Stillleben) als Moment im Fluss der Zeit erlebbar werden zu lassen.

 

In den frühesten künstlerischen Arbeiten werden kubistisch anmutende Farbfelder gleichermaßen seziert und dekonstruiert. Mit den kubistischen Formeln gerät aber auch das Bild als materieller Träger und als Grenze und Ausschnitt der gegebenen Sichtbarkeit in den Fokus ihrer Arbeit.  So teilt sich etwa ein Bildgegenstand auf vier Leinwände.

Im darauf folgenden Werkzyklus (Hauswand I und II; Tür) spürt Bianka Timpe malerisch nunmehr mit Referenz auf sichtbare Wirklichkeiten den Prozessen der Abnutzung, des Ausbleichens und Abblätterns, der Verwitterung und anderen Formen zeitlicher Veränderung nach.

Schließlich verschiebt sich das Interesse auf die Veränderlichkeit von organischen Substanzen, wie Früchte. Verdorrendes, schimmelndes oder faulendes Obst wird streng beobachtet und auch hier gilt die gleiche Strenge der bildlichen Fokussierung, so dass gegenständliche wie formale und mediale Reflektionen kombinierend inein- ander spielen.

 

Bianka Timpe entwickelt nach und nach eine technisch sehr souveräne Malerei, um auf die aufregenden, giftig bunten Farben, die beim Schimmeln und Faulen organischer Substanzen erblühen können und auch die überaus komplexen Strukturen des Wachsens und Fortschreitens der Kulturen auf ihren Nährböden malerische Antworten zu finden.

Diese Szenerien des Verfalls, der Auflösung und Zersetzung können paradoxerweise – und das ist ein barockes Element dieser Malerei – fast übergangslos in Idyllen zarten Wachstums übergehen, wenn etwa kleine Pilze eine erste pittoreske Gruppe bilden und der Betrachter allein durch dieses Detail affiziert beginnt, die restlichen Formen auch in Termini einer Landschaft aufzufassen.

Die Innenwelten des menschlichen Körpers – das nächste Interessensfeld von Bianka Timpe - ähneln nun in ihrer Mophologie und Farbigkeit eher diesen giftig-bunten Szenen, die die diversen Mikroorganismen auf ihren organischen Nährböden hervorbringen, als den aufgeräumten, den schönen und ordentlichen Bildern der Menschenkörper unserer Bildkultur.

Auf den großflächigen Gemälden, werden diese Formen des Inneren noch einmal einer anderen Umwelt ausgesetzt. Sie erscheinen vor architektonischen Elementen, Spiegeln oder Scheiben, die an die Rechtwinkligkeit unserer Architektur, an die Instrumente unseres Beobachtens, Messens, Feststellens und Unterscheidens erinnern, die wir im metrischen Raum anstellen. Hier aber bewohnt kein idealisierter ganzer Renaissance-Körper diesen Raum, hier haben wir nur noch ein aufgeklapptes, organisches Sujet in einer Schale. Die komplexe, individuelle Struktur und Morphologie dieser Gebilde kontrastiert scharf mit der Umgebung.

 

Ich möchte beispielhaft die Entstehung der Werke reflektieren:

Zu Beginn der künstlerischen Arbeit steht allerdings nicht das Bild, sondern das  organisches Objekt, das sie - zunächst - zum Gegenstand von vielen inszenierten Fotografien macht. Inszeniert deshalb, weil sie organische Formen meist in geometrische Räume aufstellt, die durch z.B. Spiegel sich vervielfältigen, wobei sich das Bild mit realen organischen Formen mit seinen Brechungen zu einem „Schein-bild“ verschränkt und so die Frage nach dem Realitätsgrad des Abgebildeten aufwirft. Element und Raum nehmen teilweise irrealen Charakter an, verstärkt durch die Sinne faszinierende Ästhetik des Sujets.

Farbe und Form mit Entsprechungen bringen Ordnung in den verwirrenden Spiegelschein der Organwesen. Nach der bildnerischen Klärung - die Komposition im Kopf und ohne die Hilfe von Skizzen - beginnt die Arbeit an der Leinwand. Mit farbigen Ölkreiden erfolgt die erste Skizzierung der Figuration und Raumsituation. Danach, so die Künstlerin, schichtet sich der Hauptgegenstand - ein wachsender Farbkörper - mit informeller Geste zu einem Wesen mit eigenem Leben im Kontrast zu den meist kühlen Raumfacetten. In „spontaner Intuition“, d.h. im Niederschlag des Pinselduktus durch die innere Vibration, vor und zurück, hin und her, verdichten sich die Farbimpulse zu einem Resonanzleib, der im Rhythmus zu leben beginnt, im Wechsel von Systole und Diastole. Diese organischen Elemente, teilweise in aufgelöste Formen bricht das Tektonische auf und zerlegt es spielerisch.

Während der Arbeit dreht die Künstlerin die Leinwand mehrfach um die eigene Achse: dadurch wird die Komposi- tion, ihre perspektivischen Möglichkeiten aufdeckend-, mehransichtig und in sich komplex. Diese Multidimensio-nalität greift über die eine Leinwand hinaus und steigert sich in Diptychon oder Tryptichen zur monumentalen Auferstehung des Stilllebens in Richtung „lebendiger Organismus“.

 

Bianka Timpes Kunst kommt - nach abendländischer Tradition - vom dinghaften Abbild her, das sie in ein rätselhaftes Komplex- Bild des Rhythmischen transferiert.

 

Zurück zu Paul Klee. Er sprach von zwei Formen - Aufbrüche in die, die nicht bestimmbaren Zwischen- Randzonen von Kunst und Leben und Leben und Kunst.

 

 

 

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